Mittwoch, 15. März 2006

Offener Brief Bezirksbeirat Rohrbach

Heidelberg, den 15.03.06


Offener Brief an die Bezirksbeiräte Rohrbach von den Bewohnern des Quartiers am Turm


Sehr geehrte Mitglieder des Bezirksbeirats Rohrbach,

wie Sie sicher aus der Presse, persönlichen Gesprächen oder der Vorlage für die nächste Bezirksbeiratssitzung erfahren haben, gibt es einen Antrag von Hochtief zur Änderung des Bebauungsplans im Quartier am Turm. Der Antrag sieht vor, die Kindertagesstätte in der benachbarten Fabrikhalle zu realisieren und das frei werdende Gelände für zusätzlichen Wohnungsbau zu nutzen.

Als erstes gilt es festzustellen, dass die Bewohner des Quartiers am Turm eine Nutzung der Fabrikhalle als Kindertagesstätte begrüßen. Einige von uns hatten die Möglichkeit, in einem Gespräch mit Hochtief die aktuellen Architektenpläne kennen zulernen und zu erörtern. Der Kontrast zwischen historischem Gemäuer und neuen Architekturelementen strahlt einen besonderen Reiz aus und stellt sicher eine gelungene Ergänzung der Quartiersarchitektur dar. Zudem bietet die Halle genügend Platz, um darin eine Kindertagesstätte mit drei bis vier integrativen Gruppen unterzubringen.

Unabhängig von der Verlagerung der Kita in die Halle gab und gibt es eine eindeutig ablehnende Haltung gegenüber dem Änderungsantrag von Hochtief von Seiten der Quartiersbewohner. Dieser sieht nicht nur vor, das ursprünglich für die Kita reservierte Gelände zu bebauen, sondern auch die südlich davon vorgesehene zentrale öffentliche Grün- und Spielfläche (1300 m2) zu verwerten. Diese Grünfläche stellt für uns das stadtplanerische Herzstück des Quartiers dar – eine Bebauung desselben ist für uns nicht akzeptabel. Insbesondere möchten wir darauf hinweisen, dass evtl. entstehende öffentlich zugängliche Bereiche im nördlichen Teil der Halle von der Fläche viel zu klein sein werden, um einen Ausgleich für die oben erwähnte Grünfläche darzustellen zu können. Die Details entnehmen Sie bitte den angefügten Flächenbilanzen.

Eine aktuelle Erhebung der Kinderzahlen im Quartier durch die Quartiersbewohner (das Jugendamt hat leider nur veraltete Zahlen vorlegen können) zeigt, dass bereits in diesem Sommer ca. 160 Kinder und im Sommer 2008 mehr als 230 Kinder im Quartier wohnen werden. Der Bedarf an Kindergartenplätzen wird dann bei ca. 80 Plätzen liegen! Dies zeigt, wie wichtig eine dritte Gruppe für den Kindergarten ist. Eine vierte Gruppe ist zurzeit in Diskussion, um den Bedarf des nach 2008 zusätzlich entstehenden Wohngebiets auf dem ehemaligen Furukawagelände (bisher Gewerbegebiet gegenüber Minimal) zu decken. Hierbei sei darauf hingewiesen, dass selbst bei 4 integrativen Gruppen nur 48 Plätze für nicht-behinderte Kinder zur Verfügung stünden. Dies entspräche gerade den im aktuellen Bebauungsplan vorgesehenen Kindergartenplätzen (zwei konventionelle Gruppen mit je 24 Kindern = 48 Kindergartenplätze). Den Bedarf des Quartiers wird dies trotzdem bei weitem nicht decken können.

Neben dem Bedarf an Kindergartenplätzen entsteht bei dieser großen Zahl an Kindern aber auch ein überaus großer Bedarf an Grün- und Freiflächen als Spiel- und Bewegungsraum. Wer die bisherige Wohnbebauung im Quartier kennt, weiss wie eng und verdichtet diese ist. Daher betonen wir an dieser Stelle, dass die öffentlichen Grünflächen des Quartiers unser kostbarstes Gut sind. In Zukunft werden diese Grünflächen der dringend benötigte Raum für die Begegnung zwischen Jung und Alt, Klein und Groß und nicht zuletzt Alt- und Neurohrbachern sein.

Vor diesem Hintergrund unterstützen wir den folgenden Kompromissvorschlag:

· Die Kindertagesstätte wird für mindestens drei integrative Gruppen in der alten Fabrikhalle errichtet und erhält die gleiche Außenfläche wie nach dem ursprünglichen Bebauungsplan
· Das nach aktuellem Bebauungsplan reservierte Gelände für die Kita kann bebaut werden (maximal mit Reihenhäusern analog des nördlich angrenzenden Gebiets)
· Erhalt der zentralen, südausgerichteten, verkehrsberuhigten Grünfläche mit Spielplatz laut aktuellem Bebauungsplan. Keine Verlegung des Spielplatzes in eine halbjährlich durch Fabrikmauern abgeschattete Lage nördlich der Halle.

Durch den nur geringfügig zu ändernden Bebauungsplan wäre gewährleistet, dass der Bau der Kita und des Spielplatzes in nächster Zukunft erfolgen kann und nicht durch komplizierte Bebauungsplanänderungsverfahren mit Einsprüchen der Anwohner in unbestimmte Ferne rückt.

Auch die relativ kleine Änderung des Bebauungsplans bedeutet durch den zusätzlichen Wohnungsbau eine weitere Verdichtung des Quartiers. Die höhere und dichtere Bebauung im Vergleich zum ursprünglich geplanten Kita-Gebäude stößt bei den Anwohnern nicht auf Begeisterung. Trotzdem versuchen wir als Quartiersbewohner den skizzierten Kompromissvorschlag zu unterstützen.

Die Stadt profitiert von dieser Variante in besonderem Maße, da sie als spätere Eigentümerin des Kita-Gebäudes statt einer normalen zweigruppigen Kita Räumlichkeiten für einen integrativen dreigruppigen Kindergarten (insgesamt doppelte Geschossfläche!) in einem architektonisch einzigartigen Gebäude erhalten würde.

Letztlich ist dies eine politische Entscheidung darüber, ob die Stadt zu ihrem familien- und kinderfreundlichen Konzept für das Quartier am Turm steht und ob sie die Konsequenzen und insbesondere Kosten, die mit ihrer Entscheidung für einen integrativen Kindergarten verbunden sind, zu tragen bereit ist.

Die Bewohner des Quartiers am Turm tragen mit diesem Kompromissvorschlag ihren Teil dazu bei, dass die entstehende Finanzierungslücke relativ klein ist (durch die Bebauung mit zusätzlichen Wohnungen auf dem ursprünglichen Kita-Gelände entstehen Mehreinnahmen von ca. 285000 Euro – siehe Flächenbetrachtung im Anhang). Die verbleibende Finanzierungslücke durch Verwertung unserer Grünflächen zu schließen, ist für uns absolut inakzeptabel und wird von den Anwohnern als Betrug empfunden.

Wir bitten Sie daher, die oben genannten Argumente bei Ihrer Entscheidung im Bezirksbeirat zu berücksichtigen und eine für alle Betroffenen tragbare Lösung zu unterstützen.


Mit freundlichen Grüßen,

Bürgerinitiative für den Erhalt von Grünflächen im Quartier am Turm

Martin Kreyscher
Kerstin Maschler
Bernd Knauber
Monika & Stephan H.
Christoph Hintze
Wolfgang Schröder
Dieter & Naoko Schultheis
Pitt Walter
Elke Tiedl
Wolfgang Hermann

















Flächenbilanzen bei Verlagerung der Kita in die Waggonhalle

1) Kita-Gelände

Nach aktuellem Bebauungsplan stehen für die Kita mit Außenfläche 1830 m2 zur Verfügung.

Bei Verlagerung der Kita in die Waggonhalle würde die Hälfte des Hallendaches geöffnet werden und die andere Hälfte der Halle das Kita-Gebäude enthalten (880 m2). Für die Kita müsste eine Außenfläche von ca. 1000 m2 reserviert werden. Das würde in Summe dem Kita-Gelände nach aktuellem Bebauungsplan entsprechen (1000 m2 Außenfläche + 880 m2 geschlossenes Gebäude ≈ 1830 m2 ursprüngliches Kita-Gelände). 1000 m2 Außenfläche würden im Übrigen auch den EU-weiten Empfehlungen, die von 12 m2-18 m2 Außenfläche pro betreuten Kind ausgehen, entsprechen (integratives Konzept: 15 m2 * 4 Gruppen * 16 Kinder = 960 m2).

Fazit: Ohne Verschlechterung gegenüber dem aktuellen Bebauungsplan muss der Änderungsantrag eine nutzbare Kita-Außenfläche von ca. 1000 m2 ausweisen

2) Öffentliche Grünflächen

Nach aktuellem Bebauungsplan ist eine 1300 m2 große Grün- und Spielfläche in stadtplanerisch optimaler, verkehrsberuhigter Südlage vorgesehen.

Bei Verlagerung der Kita in die Waggonhalle verbleiben als öffentlich zugängliche Flächen auf dem Hallengelände ungefähr 530 m2 (siehe Flächenbetrachtung im Anhang). Zieht man hiervon den Bedarf an Grünflächen, der durch die zusätzliche Wohnungsbebauung entsteht (11m2 * 12 Wohneinheiten * 1,5 Kinder = 200 m2) ab, so verbleiben Netto 330 m2 öffentliche Fläche auf dem Hallengelände.

Fazit: Auf dem Hallengelände können Netto maximal 330m2 öffentlich zugängliche Flächen geschaffen werden. Dies kann niemals die 1300 m2 Grünfläche nach aktuellem Bebauungsplan ersetzen. Außerdem ist die Fläche auf dem Hallengrundstück von minderer Qualität, da entweder von Mauern umgeben oder als schmaler Randstreifen nur eingeschränkt nutzbar.

3) Finanzielle Betrachtung

Bei Verlagerung der Kita in die alte Waggonhalle und Bebauung des frei werdenden Gebäudes mit Reihenhäusern entstehen folgende Mehreinnahmen:

+ 1830 m2 (altes Kita-Gelände) * 500 €/m2 (offizieller Bodenrichtwert ist noch höher) = 915000 €
- 2750 m2 (Hallengrundstück) * 230 €/m2 (geschätzter Bodenrichtwert für Gewerbe) = 630000€
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= 285000 € Mehreinnahmen


Wichtige Anmerkung zum nördlich der Halle gelegenen Grünzug:

In den Gesprächen mit der Stadt argumentierte diese anfangs damit, dass der öffentliche Grünzug nördlich der Halle (momentan als provisorischer Spielplatz genutzt) positiv in die Flächenbilanz einzurechnen sei. Im Moment wäre diese Fläche wegen des Status als „Versickerungsfläche“ offiziell nicht nutzbar, was sich aber in Zukunft ändert und damit positiv in die Flächenbilanz einfließt.

Dieses Argument ist für uns absurd und absolut inakzeptabel. Nach aktuell gültigem Bebauungsplan ist der gesamte Grünstreifen, und damit ca. 80% der öffentlichen Grünfläche des Quartiers, gleichzeitig als „Öffentliche Grünfläche“, „Parkanlage“ und „Versickerungsfläche“ ausgewiesen. Warum diese Flächen also im Moment nicht nutzbar sein sollten, ist nicht nachzuvollziehen. Zudem sind diese Grünflächen ausdrücklich als Bewegungsraum für die Kinder ausgewiesen (siehe Begründung zum Bebauungsplan 9.3: Öffentliche Spielflächen).
Sollte die Stadt daher weiterhin mit diesem unhaltbaren Argument die Grünflächenbilanz schönrechnen, so werden die Quartiersbewohner rechtliche Schritte einleiten, die Flächenbilanz durch einen neutralen Gutachter prüfen lassen und das Bebauungsplanänderungsverfahren aufgrund von Verfahrensfehlern anfechten.









Denkbare Flächenaufteilung der betroffenen Baufelder bei Verlagerung der Kita in die Waggonhalle








Fazit: Die öffentliche Grünfläche mit Spielplatz nach aktuellem Bebauungsplan kann niemals durch Flächen auf dem Hallengrundstück ersetzt werden (Verlust an Quantität und Qualität!)


=> Das Herzstück des Quartiers muß erhalten bleiben!